• Vintage Bottechia - aufgearbeitet

Montage- und Werkstattkompetenz von Profis

Mein Freund Lars hat ein schönes blaues Cannondale Aluminium Mountainbike (vermutlich ein F700 CAD3) mit Headshok Federgabel. Baujahr des Rades ca. 2002.

Cannondale baut ein Patroneninnenlager (BB UN52 oder ähnlich) mit Stahl- und Plastik-Vielzahnlagerschale in den Aluminiumrahmen ein. Natürlich ohne Fettpackung für die Tretlagegewinde - so wie es Profis eben machen. Dabei lernte man in den tour Magazinen aus den 80er Jahren bereits von Hans Christian Smolik, daß an die Lager eine ordentliche Fettschmierung gehört.

Gleiches gilt natürlich auch für die Montage der Sattelstütze. Auch diese hat der Profi Cannondale ohne Fett montiert.

Die Montagemethode der Profis führt dazu, daß;

a) Dreck durch die Sattelstützenklemmung und das Sattelrohr bis ins Treglagergehäuse wandern kann.

b) der im Tretlagergehäuse gesammelte Dreck die Korrosion vorantreibt.

Was das nach 20 Jahren bewirkt, ist im folgenden dargestellt. In diesem Zustand ist dann die örtliche Fahrradwerkstatt überfordert - das sind übrigens auch Profis, da sie damit Ihr Geld verdienen.

Status: auf der linken Tretlagerseite, also dort wo keine Kettenblätter sitzen ist die Kunststofflagerschale sämtlicher Zähne beraubt. So wird das Rad an den Kunden mit dem Kommentar "Da kann man leider nichts machen. Das Rad ist verschrottungsreif!

Das tut einem weh, wenn man sich überlegt, was das Rad mal gekostet hat und daß es 20 Jahre treu seinen Dienst versehen hat.

Restauration Tretlager am Cannondale F700

Jetzt genug gemeckert, wollen wir versuchen, das Problem zu lösen.

Nun ging es los mit einem Versuch, die rechte Schale aus Stahl herauszuschrauben. Dafür habe ich von Unior das Werkzeug Nr. 623087. Die Schale sitzt so fest, daß mit dem Hebelarm des Werkzeugs nichts zu machen ist. Also ein ca. 1 m langes Stahlrohr als Verlängerung aufgesetzt.

Ergebnis: Schale sitzt immer noch fest, Hebel vom Werkzeug ist verbogen!

Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.1: Unior Tretlagerwerkzeug Nr. 623087 für Vielzahlschalen ISIS und Octalink Tretlager. Damit konnte ich bisher alle Tretlagerschalen bewegen.

Nachdem der Hebel vom Uniorwerkzeug verbogen und weich war, habe ich versucht das Werkzeug zu zerlegen, um mit einem 24 mm Maulschlüssel auf den 6-Kant aufzusetzen.

Dann mit dem 1 m Stahlrohr auf den geschmiedeten 24 mm Maulschlüssel aufgesetzt und nächster Versuch.

Ergebnis: Maulschlüssel aufgebogen und den 24 mm 6 Kant vergnaddelt!

Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.2: Zerlegtes Unior Werkzeug, aufgebogener geschmiedeter 24 mm Maulschlüssel, und die verbogene Unior Hebelverlängerung.

Im folgenden noch ein paar Details der beschädigten Werkzeuge.

Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.3: Beschädigte Werkzeuge, hier besonders gut zu sehen, das die Unior Hebelverlängerung verbogen ist.
Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.4: Beschädigte Werkzeuge, Nahaufnahme.

Das war also alles noch nicht das richtige. Also habe ich mich an mein altes Tacx Werkzeug erinnert, welches eine 32 mm Aufnahme hat. Damit den nächsten Versuch.

Für einen 32 mm Ring-Maulschlüssel war das 1 m Stahlrohr nicht zu gebrauchen, da der Durchmesser zu klein war. Also habe ich mir ein Edelstahlrohr mit 100 mm Innendurchmesser besorgt.

Ich lege los, auf einmal knackt es. Es hört sich an wie der Bruch von Kunststoff. Ich schaue nach, es ist kein Kunststoff im Spiel. Also noch einmal versuchen. Das geht auf einmal ganz leicht.

Ergebnis: Beim Tacs Werkzeug die Hälfte der Zähne abgebrochen!

Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.5: Beschädigtes Tacx Werkzeug. Mehr als die Hälfte aller Zähne sind abgebrochen.

Es muß also noch irgendwie anders gehen.

Überlegung: Shimano Originalwerkzeug TL-UN74 S nehmen. Da ist auch ein 32 mm Sechskant außen dran. Dann den thermischen Ausdehnungskoeffizenten (englisch: CTE, steht für coefficent of thermal expansion) ausnutzen. Also mit einer Heißluftpistole das Tretlager erwärmen. Der CTE von Aluminium ist ungefähr einen Faktor 2 größer als der von Stahl.

Dann mit dem 1,5 m Edelstahlrohr und dem Ring vom Ring-Maulschlüssel auf das Shimano TL-UN74 S Werkzeug. Das Shimanowerkzeug hat den Nachteil, daß man es nicht in der Schale festspannen kann. Also mit einer langen Kurbelschraube und einer großen Scheibe festgespannt.

 

Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.6: Cannondale F700 mit festsitzender Lagerschale. Vielzahnschlüssel mit 32 mm Ring-Maulschlüssel und 1,5 m langem Edelstahlrohr mit einem Durchmesser von 100 mm als Hebel.
Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.7: Detail der Verspannung des Shimano TL-UN72 S Werkzeugs an der Tretlagerschale.

Dann noch das Edelstahlrohr mit 1,5 m Länge und Durchmesser 100 mm aufgesteckt.

Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.8: Aufgestecktes Edelstahlrohr (L: 1,5 m, D: 100 mm).

Dann das Gehäuse mit einer Bosch PH-2 Heizluftpistole auf Stufe 1 ca. 10 Minuten erwärmt. Man kann es dann nicht mehr mit der Hand anfassen. Ich schätze die Temperatur so auf 50-60°C.

Und dann Hebelkräfte wirken lassen. Endlich! Eine 1/4 Umdrehung geht der Hebel nach vorne (BSA Gewinde also: links herum fest, rechts herum los). Es war allerdings nur eine Vermutung, daß das Tretlager BSA ist. Es ist leider nirgendwo erkennbar gewesen. Die Lagerschalen Dimensionen waren auch nicht mit denen der mir vorliegenden BB-UN72 Tretlager vergleichbar. Also Mut zum Risiko. Wobei die Amerikaner ja doch dichter an den Briten (BSA) als an den Italienern (italienisches Gewinde 36 × 24) sind.

Dabei allerdings aufgrund der extremen Kräfte ist das Stahlrohr zu weit auf den Schlüssel gerutscht und beim Drehen habe ich den Lack etwas beschädigt.

Wobei der Lack nach 20 Jahren stellenweise schon sehr stark aufgeblüht ist. Das ist ein Cannondale Problem, da das XC800 von meinem Schwiegervater auch aufgeblühten Lack aufweist.

Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.9: Leichte Beschädigungen des Lacks am Tretlagergehäuse.
Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.10: Das Tretlager ist entfernt. Im Tretlagergehäuse befindet sich ein "Sandkasten".
Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.11: Das "versandete Tretlagergehäuse bei dem noch nicht einmal die Gewindegänge zu erkennen sind. Sand und Korrosionsprodukte füllen die Spalte zwischen Tretlager und Tretlagergehäuse.

Nachdem die rechte Tretlagerseite ca. 1,5 cm aus dem Gehäuse geschraubt war, steckte es noch immer im Tretlagergehäuse fest und konnte nicht mit rechtsherumdrehen weiter heraus geschraubt werden.

Dann noch einmal Heißluftpistole Stufe 1 für 10 Minuten an das Tretlagergehäuse und dann mit einem 500 g Hammer von der linken Seite auf die Tretlagerachse mit leichten Schlägen das Tretlager herausgeschlagen.

Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.12: Das herausgenommene Tretlager Shimano BB-UN 52 (oder ähnlich). An der Patrone und auf den Fliesen genügend Dreck. In den Gewindegängen sitzt teilweise Aluminium. Da haben die Gewinde schon gefressen.

Das Tretlager war nun draußen. Allerdings noch nicht die linke Tretlagerschale aus Kunststoff. Da die Fachwerkstatt bereits alle Zähne der Tretlagerschale abgebrochen hatte, mußte ich keine Rücksicht nehmen und konnte die Schale zerstörend entfernen.

Den Rahmen auf einen Holzklotz gelegt und mit einem rund angeschliffenen Stechbeitel die Plastiktretlagerschale herausgeschlagen. Korrosionprodukte ebenfalls ganz vorsichtig mit dem Stechbeitel ausgeschlagen bzw. herausgeschabt. Je nach Festigkeit des Sitzes des Drecks. Aber Achtung: möglichst das Tretlagergewinde nicht beschädigen!

Ergebnis siehe Abbildung 5.2.13.

Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.13: Mit dem rund geschliffenen Stechbeitel entfernte Korrosionprodukte und die linke Tretlagerschale aus Kunststoff.

Es sitzt aber immer noch genügend Dreck im Gehäuse. Also mit einer alten Zahnbürste und Wasser die Dreckreste herausspülen.

Bild in Lightbox öffnen (open image in lightbox). Abbildung 5.2.14: Tretlagergehäuse ohne Tretlager.

In dem Zustand baue ich kein neues Lager ein.

Also zunächst mit einem Cyclus-Tools Tretlagergewindeschneider die Gewinde gereinigt bzw. nachgeschnitten.

Danach in einem zweiten Schritt die Tretlagergewinde noch zweimal mit dem Campagnolo Tretlagergewindeschneider gereinigt und nachgeschnitten.

Dann das neue Tretlager Shimano BB-UN72 mit 112 mm langer Achse (wie das alte) mit Schraubensicherung Loctite 401 und Hanseline Titanfett eingebaut.